Epilepsie
Der nachfolgende Text über Epilepsie wurde dem VRK von Dr. med. vet. Martin Jenny zur Verfügung gestellt.
Der VRK dankt Herrn Dr. Jenny
ganz herzlich für diesen Artikel!
Vor kurzem rief mich eine Hundebesitzerin voller Angst an.
„ Herr Doktor, mein Hund hat einen Schlaganfall gehabt! Kann ich sofort in ihre Praxis kommen? Er hat zuerst getorkelt, fiel dann in Seitenlage und hat auf den Teppich uriniert.“
Wir liessen den Hund also notfallmässig kommen, da bei einem Schlaganfall die Zeit ein wichtiger prognostischer Faktor ist. Je schneller eine Therapie eingeleitet wird, umso günstiger ist die
Prognose. In der Praxis angekommen präsentierte sich der Hund munter und aufmerksam. Er schien vollkommen gesund zu sein.
Er war für einen Schlaganfall mit sechs Jahren eigentlich auch zu jung. Nach einem genauen klinischen und neurologischen Untersuch äusserte ich meine Verdachtsdiagnose. Der Hund hatte mit grosser
Wahrscheinlichkeit einen epileptischen Anfall erlitten.
Epilepsie, die „Fallsucht“ bei Hunden und Katzen.
Was ist Epilepsie?
Die Erregungsübertragung zwischen den Neuronen (Nervenzellen) im Hirn passiert elektrisch. Im Normalfall geschieht dies kontrolliert.
Bei einem epileptischen Anfall kommt es zu einer Kettenreaktion (ähnlich einem Buschfeuer). Es wird ein ganzes Hirnareal oder im schlimmsten Fall die gesamte Grosshirnrinde unkontrolliert
aktiviert. Je nach betroffener Grosshirngegend entstehen entweder motorische, sensorische oder sensible Ausfälle.
Die Erregbarkeit der Neuronen im betroffenen Hirnareal steigt mit jedem Anfall. Das bedeutet, die Wahrscheinlichkeit eines weiteren Anfalls nimmt nach jedem Anfall zu.
Epilepsie hat viele Gesichter. Beim Menschen ist mit verschiedenen Spezialuntersuchungen eine genaue Differenzierung möglich.
Dabei werden Blutuntersuchungen, EEG (Elektroenzephalogramm: messen der Hirnströme), MRT (Magnetresonanztomographie) und PET (eine Untersuchungsmethode, bei der die Anreicherung kurzlebiger
radioaktiv markierter Substanzen in krankhaft veränderten Hirnarealen nachgewiesen wird) routinemässig eingesetzt.
Beim Tier kommen Blutuntersuche, EEG und MRT auch zum Einsatz. Die Aussagekräftigkeit beim EEG ist aufgrund der viel kleineren Grosshirnrinde allerdings beschränkt.
Anfallsursachen:
Die am häufigsten vorkommende Anfallsform ist die sogenannte idiopathische Epilepsie. Bei ihr findet man keine zugrunde liegende Ursache. Es ist eine vererbte Form der Epilepsie, welche bei
vielen Rassen wie Border Collies, Retriever‐Arten zunehmend diagnostiziert wird.
Andere Ursachen für epileptische Anfälle sind angeborene Erkrankungen wie Hydrocephalus (Wasserkopf), daneben auch Neoplasien (Hirntumore), Vergiftungen, Lebererkrankungen und Enzephalitis
(Entzündungen im Zentralnervensystem).
Sie müssen mit verschiedenen, zum Teil oben genannten Untersuchungen ausgeschlossen werden.
Anfallsarten:
Fokaler Anfall: Der Anfall bleibt auf ein Hirnareal beschränkt. Dementsprechend können diese Anfälle ganz verschiedenes Auftreten haben wie z.B. Zuckungen im Gesicht, „Fliegenschnappen“, Krämpfe
der Beine ohne Verlust des Stehvermögens. Ein fokaler Anfall kann sich auch generalisieren. Das heisst, dass die Übererregung auf andere Hirnareale übergreifen kann und schlussendlich die ganze
Grosshirn-Rinde
betrifft.
Generalisierter Anfall (primär): Der Hund fängt ohne Vorwarnung in Seitenlage an, mit den Vorder‐ und Hinterbeinen zu rudern oder steif zu krampfen. Oft sehen wir auch hochgradigen
Speichelfluss (als wäre das Tier tollwütig) und spontanen Harn‐ und Kotabsatz. Diese Anfälle dauern von wenigen Sekunden bis mehrere Minuten. Falls der Hund gar nicht mehr aufhört spricht man von
einem Status epi lepticus.
Serienanfälle: mehr als ein Anfall innerhalb von 24 Stunden.
Für den Besitzer kann das Erkennen eines epileptischen Anfalls, v.a. bei fokalen Anfallsformen sehr schwierig sein.
Die Tiere stehen ja auch nicht unter 24‐stündiger Aufsicht. Die Unterscheidung, ob ein mit Urin verschmutztes Bettchen auf eine nächtliche (hormonelle, altersbedingte) Inkontinenz oder auf einen
epileptischen Anfall zurückzuführen ist, gelingt in der Regel nur mit fundierten klinischen Untersuchungen. Auch nicht jede im Schlaf zuckende Gliedmasse ist ein epileptischer Krampf, denn auch
unsere Vierbeiner träumen...
Krampfanfälle mit Bewusstseinsverlust oder auch sich wiederholende Wesensveränderungen sollten auf jeden Fall durch einen Tierarzt abgeklärt werden. Eine genaue Vorgeschichte (Tagebuch über das
Auftreten, Zeitdauer des Anfalls) oder sogar eine kleine Filmaufnahme können dabei hilfreich sein, da auch ein Tier mit epileptischen Anfällen in der anfallsfreien Zeit völlig unauffällig ist.
Ursachen:
Neben den im ersten Teil bereits erwähnten möglichen Anfallsursachen gibt es bei verschiedenen Rassen eine erbliche (idiopathische) Epilepsie. Die Vererbung ist komplex, man vermutet einen
rezessiven Erbgang. Das heisst, es gibt Trägertiere, die die Veranlagung zwar weitergeben, selber aber nie an einem Anfall erkranken. Dies und die Tatsache, dass vor allem leichte Epilepsieformen
oft unerkannt bleiben macht es sehr schwierig, entsprechende Epilepsie‐vererbende Tiere aus der Zucht zu eliminieren.
Therapie:
Es werden Medikamente eingesetzt, die eine dämpfende Wirkung auf das Zentralnervensystem haben. Vor allem am Anfang der Therapie nehmen die Besitzer oft eine Müdigkeit und Trägheit wahr, welche
sich aber wieder verliert. Die vererbte Form der Epilepsie beim Border Collie spricht meist schlecht auf gängige Antiepileptica an und oft müssen solche Tiere bei schweren, therapieresistenten
Anfällen, leider euthanasiert werden. Die Therapie ist in den meisten Fällen lebenslänglich durchzuführen.
Es kann, nach einer längeren anfallsfreien Zeit versucht werden, die Medikamentendosis zu reduzieren.
In sehr seltenen Fällen kann die Therapie auch beendet werden.
© Dr. med.vet. Martin Jenny,
Die Kleintierpraxis GmbH in Sissach,
Februar 2014